Kritik der Unabhängigen an einer verfehlten Hafenpolitik trifft ins Schwarze

Frank Müller-Horn

Die Unabhängigen begrüßen, dass CDU und SPD den Eindruck erwecken, dass Sie die Einladung der Unabhängigen zu einer kritischen Diskussion über die Zukunft der Lübecker Häfen annehmen wollen.

Hierzu erklärt das Bürgerschaftsmitglied Wolfgang Neskovic:

„Die – allerdings vorrangig emotionalen – Reaktionen von CDU und SPD auf die Kritik der Unabhängigen zur Lübecker Hafenpolitik beweisen jedoch, dass die Unabhängigen mit ihrer Kritik  ins Schwarze getroffen haben.  Es ist eine Erbsünde der Lübecker Hafenpolitik, eine an Fakten orientierte Diskussion zur zukünftigen Entwicklung der Lübecker Hafenwirtschaft zu unterbinden, indem eine Diskussion hierüber tabuisiert wird. Wer es wagt an diesem Tabu zu rütteln, sieht sich einem polemischen Sturm der Entrüstung ausgesetzt. Statt mit Gründen zu argumentieren, wird mit Abgründen um sich geworfen.

Durch den Beschluss der Bürgerschaft, den Hafenentwicklungsplan (HEP) 2030 umzusetzen, folgt die Bürgerschaft der schlichten Politik des „Weiter so“. Sie bleibt so Sklave der Vergangenheit, indem sie sich der Tradition der Hanse verpflichtet sieht. Sie verkennt dabei jedoch, dass die Hanse Geschichte ist – deswegen haben wir auch ein Hansemuseum.

Mit dieser der Tradition verpflichteten Sichtweise werden die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Dieser Beschluss verweigert sich der Zukunft. Denn der Hafenentwicklungsplan bietet keine Grundlage für eine realistische und an den fiskalischen Möglichkeiten der Stadt ausgerichtete Hafenentwicklung. Vielmehr wird eine schon mehrfach gescheiterte Expansionsplanung kritiklos und unbeirrt fortgesetzt. Dies, obwohl sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten weiterhin verschlechtert haben“.

Der baupolitische Sprecher der Unabhängigen, Frank Müller-Horn, fährt fort:

„Die veränderten Rahmenbedingungen sind im Wesentlichen:

1. Bedeutungsverlust: Das seit dem HEP 1996 ersehnte, aber nicht eingetretene Umsatzplus erklärt sich durch einen jahrzehntelang entstandenen Bedeutungsverlust des Hafens:

Im Europäischen Güterverkehrsnetz (TEN-T-Netz) ist Lübeck auf der Nord-Süd-Achse „Scandinavian-Mediterranen Korridor“ nicht als Kernhafen aufgeführt. – Ganz anders Rostock.

Im Wasserstraßenausbaugesetz (2016) ist die Anpassung der seewärtigen Zufahrt zum Seehafen Lübeck kein „Vorhaben des vordringlichen Bedarfs“, im Gegensatz zu der Einstufung der Häfen Rostock und Wismar. So wird vom Bund die Warnow bis Rostock 2021 mit Kosten von ca. 100 Mill. Euro auf 15,5m vertieft. Dies hat erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbssituation. Die Anpassung der Wasserstraßentiefe wird unter dem Aspekt der Zukunftsfähigkeit von den Hafenbetreibern eingefordert.

– Den Bedeutungsverlust des Lübecker Hafens belegen auch die Umsatzzahlen beispielhaft. Mit 27 Mill. ton (brutto) im Jahr 2019 entspricht dies dem Niveau von 1998. Die 2008 für 2020 prognostizierten Umsatzzahlen in Höhe von 54 Millionen Tonnen haben sich als realitätsferne Illusionen erwiesen.

2. Feste Fehmarnbelt Querung (FFBQ): Die FFBQwird realisiert, ist aber kein Bestandteil der Prognose, da sie als Maßnahme nach 2030 eingestuft ist. Für die Zukunftsfähigkeit des Hafens ist die FFBQ jedoch von Bedeutung, da mit erheblichen Umsatzeinbußen gerechnet werden muss, da z.Zt. über 50% des LHG Umsatzes nach Schweden abgewickelt wird.

3. Finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Gemäß dem HEP 2030 betragen die notwendigen Investitionen innerhalb der nächsten 10 Jahre 750 Mill. Euro. Reduziert um die Bezuschussung von Bund, Land und EU beträgt die jährliche Investitionssumme ca. 25 bis 30 Mill. Euro jährlich (ca. 23% der gesamten Lübecker Investitionsausgaben).

Dies übersteigt die finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt bei weitem. Diese riesigen Investitionsleistungen fehlen in anderen Bereichen der städtischen Politik.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die großen Herausforderungen der Lübecker Politik, nämlich der Überwindung der Corona-Krise und des Klimanotstandes. Allein dies stellt in fiskalischer Hinsicht schon eine Mammutaufgabe dar.

Aber auch vielen anderen wichtigen Bereichen der Lübecker Politik fehlt das in die Hafeninfrastruktur investierte Geld. Es ist deswegen dringend notwendig, dass die Stadtgesellschaft und die Bürgerschaft darüber diskutieren, ob sich Lübeck die Hafeninvestitionen in dem vorhandenen Umfang im Hinblick auf andere Aufgaben überhaupt noch leisten kann und will. So werden in den Hafen investierte Gelder bei der Behebung  der maroden Verkehrsinfrastruktur, der Sanierung der Schulen, der Einführung einer zukunftsfähigen Digitalisierung, der Linderung und Bekämpfung sozialer Probleme und Benachteiligungen usw. fehlen.

4. Wirtschaftliche Wertschöpfung: Die Behauptung, dass die Lübecker Hafenwirtschaft ein wesentliches ökonomisches Standbein Lübecks sei, relativiert sich, wenn man Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Steueraufkommen im Verhältnis zu anderen Branchen betrachtet. Je nach Kennziffer macht dieser Anteil der Hafenwirtschaft zwischen 8-12 % der Lübecker Wirtschaft aus. Zum Vergleich: Über die Hälfte (58%) der in Lübeck Beschäftigten arbeitet in den Branchen Gesundheits-, Ernährungs- sowie Dienstleistungswirtschaft. Der Bereich Logistik (nicht nur Hafenbetrieb) belegt den fünften Platz. Gesundheits- und Ernährungswirtschaft sind Clusterbranchen mit hohem Wachstumspotenzial und einer dynamischen Beschäftigtenentwicklung. Auch hier zeigt sich der Bedeutungsverlust des Hafens für Lübeck.

5. Die LHG als Sanierungsfall: Spätestens seit 2018 wissen wir, dass die LHG, die 85 % der Lübecker Hafenflächen bewirtschaftet, ein Sanierungsfall ist. Sie musste 2018 in einem gemeinsamen gewaltigen finanziellen Kraftakt von der Belegschaft und der Stadt vor der drohenden Insolvenz bewahrt werden. Ab 2018 stundet die Stadt die Pacht für einen Zeitraum von vier Jahren. Das führt bei der Stadt zu einem Einnahmeverlust von insgesamt 17 Millionen €. Geld, das im Lübecker Haushalt für andere wichtige Aufgaben fehlt (Klimaschutz, Verkehr und Infrastruktur, Schule und Kultur, Personal, Digitalisierung usw.). Die Belegschaft hat ihrerseits in Höhe von weiteren 17 Million € Einkommensverzicht geübt. Zwischenzeitlich wird der Anteil von Rreef an der LHG von seinerzeit 46 Mill. Euro auf der Resterampe feilgeboten.

Seitdem hat sich die wirtschaftliche Situation trotz dieser üppigen Finanzspritze nicht entscheidend verbessert. Eine Wende ist nicht in Sicht.

So hat die LHG schon vorsorglich auf die Notwendigkeit einer Verlängerung der Stundungsvereinbarung hingewiesen. Auch 2019 war trotz der geleisteten Sanierungsleistungen kein gutes Jahr. Mitte 2019 brach der Umschlag erneut ein, weil in den Häfen in Finnland gestreikt wurde. Der Umschlag ging zurück. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber es wird ein Umsatz von ca. 20 Millionen Tonnen geschätzt.

 Nunmehr hat die Corona-Krise den Hafen voll getroffen. Es sind drastische Umsatzeinbrüche zu verzeichnen. So musste Bürgermeister Lindenau jüngst einräumen, dass die LHG von den Auswirkungen der Corona-Krise im Vergleich zu den anderen städtischen Gesellschaften am stärksten betroffen sei.

Diese Beispiele belegen erneut, wie krisenanfällig der Hafen ist. Es handelt sich um ein Hochrisikogeschäft. Wandern einige wenige Großkunden ab, gibt es in skandinavischen Ländern Streiks oder gibt es allgemeine Wirtschaftskrisen, verfügt der Hafen über keine strategischen Abwehrreserven, weil er nicht auf einem  krisenfesten  Fundament ruht.

Der Hafen darf sich nicht zum Millionengrab für die Stadt entwickeln. Nach dem Flughafendesaster darf keine Hafenpleite folgen.“