
Nach Auffassung der Unabhängigen vermittelt der Hafenentwicklungsplan 2030, der in der kommenden Bürgerschaftssitzung verabschiedet werden soll, keine verlässliche Perspektive für die nächsten 10 Jahre. Auf mehr als 700 Seiten ist es den Verfassern nicht gelungen, überzeugungskräftige Handlungskonzepte zu entwickeln, die das wirtschaftliche Überleben des Lübecker Hafens sichern könnten.
Dazu erklärt der baupolitische Sprecher der Unabhängigen, Frank Müller-Horn:
„Die Lübecker Hafengesellschaft (LHG), die den Hafen betreibt, ist ein Sanierungsfall.
Sie musste 2018 in einem gemeinsamen gewaltigen finanziellen Kraftakt von der Belegschaft und der Stadt vor der drohenden Insolvenz bewahrt werden. Ab 2018 stundet die Stadt die Pacht für einen Zeitraum von vier Jahren. Das führt bei der Stadt zu einem Einnahmeverlust von insgesamt 17 Millionen €. Geld, das im Lübecker Haushalt für andere wichtige Aufgaben fehlt (Klimaschutz, Verkehr und Infrastruktur, Schule und Kultur, Personal, Digitalisierung usw.). Die Belegschaft hat ihrerseits in Höhe von weiteren 17 Million € Einkommensverzicht geübt. Zwischenzeitlich wird der Anteil von Rreef an der LHG von seinerzeit 46 Mill. Euro auf der Resterampe feilgeboten.
Seitdem hat sich die wirtschaftliche Situation trotz dieser üppigen Finanzspritze nicht entscheidend verbessert. Eine Wende ist nicht in Sicht.
So hat die LHG schon vorsorglich auf die Notwendigkeit einer Verlängerung der Stundungsvereinbarung hingewiesen. Auch 2019 war trotz der geleisteten Sanierungsleistungen kein gutes Jahr. Mitte 2019 brach der Umschlag erneut ein, weil in den Häfen in Finnland gestreikt wurde. Der Umschlag ging zurück. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber es wird ein Umsatz von ca. 20 Millionen Tonnen geschätzt.
Nunmehr hat die Corona-Krise den Hafen voll getroffen. Es sind drastische Umsatzeinbrüche zu verzeichnen. So musste Bürgermeister Lindenau jüngst einräumen, dass die LHG von den Auswirkungen der Corona-Krise im Vergleich zu den anderen städtischen Gesellschaften am stärksten betroffen sei.
Diese Beispiele belegen erneut, wie krisenanfällig der Hafen ist. Es handelt sich um ein Hochrisikogeschäft. Wandern einige wenige Großkunden ab, gibt es in skandinavischen Ländern Streiks oder gibt es allgemeine Wirtschaftskrisen, verfügt der Hafen über keine strategischen Abwehrreserven, weil er nicht auf einem krisenfesten Fundament ruht.
Auch der Hafenentwicklungsplan 2030 zeigt keine überzeugenden Wege auf, die aus diesem Dilemma herausführen könnten. Er lebt von unrealistischen Hoffnungen und Erwartungen.
Eine wesentliche Grundlage für die in dem Papier angestellten Überlegungen sind Umschlagprognosen, die jedoch auf einer höchst unsicheren Datenlage beruhen. So wird für das Jahr 2030 – bei einer bescheidenen Wachstumsrate von lediglich 2,7% im Jahr -ein Umschlag von 37 Mill. Tonnen prognostiziert. Wie unsicher solche Prognosen sind, zeigt ein Vergleich mit der Umschlagprognose von 2008. Damals wurde für das Jahr 2020 ein Gesamthafenumschlag von 54 Mill. Tonnen vorhergesagt. Ein Umschlag von max. 25 Millionen Tonnen erscheint dagegen realistisch.
Hinzu kommt, dass alle Daten auf einer veralteten Grundlage beruhen. Sie sind Fortschreibungen der Seeverkehrsprognose des Bundes mit dem Basisjahr von 2010.
Zur unsicheren Datenlage kommen Unsicherheiten im Russlandverkehr, die nicht absehbaren Auswirkungen der Festen Fehmarnbelt Querung auf den Lübecker Hafen sowie die fehlende Einbeziehung der Wettbewerbssituation.
Die Wettbewerbssituation der süd-westlichen Ostseehäfen verändert sich zum Nachteil Lübecks. Im Wasserstraßenausbaugesetz (2016) ist die Anpassung der seewärtigen Zufahrt zum Seehafen Lübeck kein „Vorhaben des vordringlichen Bedarfs“, im Gegensatz zu der Einstufung der Häfen Rostock und Wismar. So wird vom Bund die Warnow bis Rostock 2021 mit Kosten von ca. 100 Mill. Euro auf 15,5m vertieft. Dies hat erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbssituation. Die Anpassung der Wasserstraßentiefe wird unter dem Aspekt der Zukunftsfähigkeit von den Hafenbetreibern eingefordert.“
Frank Müller-Horn abschließend: „Eine schonungslose Analyse offenbart, dass es endlich an der Zeit ist, offen über die Zukunft des Lübecker Hafens zu debattieren. Dieses Thema darf nicht länger tabuisiert werden. Es ist eine Erbsünde der Lübecker Politik, dass sie skeptische Fragesteller politisch ins Abseits stellen möchte und sich einer ehrlichen und substantiellen Bestandsaufnahme in einer öffentlichen Debatte verweigert. Die bisherigen Diskussionen hierzu im Bau- und Wirtschaftsausschuss belegen diese Einschätzung. Dort wurde nicht argumentiert, sondern mit Vorurteilen gegen berechtigte Fragen polemisiert. Hierzu passt es auch, dass nunmehr im Schatten der Coronakrise der Hafenentwicklungsplan ohne eine größere öffentliche Diskussion in der Bürgerschaft einfach durchgewinkt werden soll.
Dabei wird übersehen, dass die wirtschaftlichen Effekte des Hafens längst nicht mehr so sind, wie es die Hafenlobby immer wieder behauptet. Gesundheits- und Ernährungswirtschaft sowie Dienstleistung sind hinsichtlich Wertschöpfung, Gewerbesteuer und Beschäftigtenzahl für Lübeck die entscheidenden Branchen.
In die öffentliche Debatte gehört auch die finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt, besonders im Hinblick auf die Bewältigung der neuen Herausforderungen, wie die Abschwächung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sowie die bisher eher zögerliche Umsetzung der ökologischen Wende, das alles bei zunächst sinkenden Einnahmen. Um den finanziellen Gestaltungsrahmen optimal zu nutzen, müssen alle Maßnahmen nach ihrem Zielerreichungsgrad sorgfältig priorisiert werden.
Bei dieser Sachlage stellt sich daher die politisch brisante Frage, ob die finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt überhaupt ausreicht, um den angemeldeten Investitionsbedarf aus dem Hafenentwicklungsplan befriedigen zu können.
Gemäß dem HEP 2030 betragen die notwendigen Investitionen innerhalb der nächsten 10 Jahre 750 Mill. Euro. Reduziert um die Bezuschussung von Bund, Land und EU beträgt die jährliche Investitionssumme für Lübeck ca. 25 bis 30 Mill. Euro jährlich (ca. 23% der gesamten Investitionsausgaben). Eine gewaltige Summe, die die finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt bei weitem übersteigt. Besonders im Hinblick auf die großen Herausforderungen der Lübecker Politik, nämlich der Überwindung der Coronakrise sowie des Klimanotstandes. Auch in fiskalischer Hinsicht eine Mammutaufgabe.
Leider fehlt es bislang an einer öffentlichen und ergebnisoffenen Diskussion zu der Kernfrage, ob Lübeck sich bei den gegebenen Rahmenbedingungen den Hafen überhaupt noch leisten kann.
Die Unabhängigen sind zu einer solchen Debatte bereit und würden es begrüßen, wenn die anderen Fraktionen – wie im Ältestenrat der Bürgerschaft beschlossen – den Punkt zunächst von der Tagesordnung der Bürgerschaft nehmen würden, um vor einer abschließenden Beratung eine öffentliche Diskussion mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten zu ermöglichen.
Der Hafen darf sich nicht zum Millionengrab für die Stadt entwickeln. Nach dem Flughafendesaster darf keine Hafenpleite folgen.“